„Das Jahr 1990 freilegen“
Die Leipziger Fotografen Christiane Eisler, Gerhard Gäbler, Martin Jehnichen und Harald Kirschner im Gespräch – Moderation: Paul Kaiser und Jan Wenzel
„Zeigen, was man geworden ist, ist angenehm und aufwertend. Zeigen, was man einmal war, ist es weniger. Unnachgiebig graviert die Fotografie die Markierungen des Gewesenen in das ein, was wir jetzt sind und vielleicht nicht mehr sein wollen. Gegen unseren Willen kommt zu uns zurück, wovon wir uns losreißen wollten.“
Didier Eribon
Während wahrscheinlich jeder weiß, was er am Tag des Mauerfalls tat, lässt sich das Jahr 1990 vier schwieriger rekapitulieren. Anders als der kurze, stürmische Wendeherbst wirkt es in der Erinnerung wie ein blinder Fleck. „Das Jahr 1990 freilegen“ (Spector Books 2019) nimmt dieses Jahr mit zeitgenössischen Stimmen, heutigen Reflexionen und rund 1200 Abbildungen unter die Lupe: Erst in der bewussten Rückschau scheint es möglich, an das emotionale Auf und Ab, an persönliche Verletzungen und an die Orientierungslosigkeit, die sich keiner eingestehen wollte, zurückzukehren.
Für den Abend im Bildermuseum haben wir Leipziger Fotografen eingeladen, über die Fotos in ihren Archiven und ihre Erinnerungen ins Gespräch zu kommen. Fotografien können ein Korrektiv sein: Sie schärfen den Blick aufs Vergangene, auf Wünsche und Enttäuschungen, die längst aus dem Gedächtnis gestrichen sind. Die wir zurückweisen würden, wenn die Fotos uns nicht unbestreitbar vor Augen halten könnten, was war – und was wir waren.